Programmatisches

Um es gerecht zu machen, bekommt ihr alle dieselbe Aufgabe. Klettert auf diesen Baum! (Cartoon © Hans Traxler)

Um es gerecht zu machen, bekommt ihr alle dieselbe Aufgabe. Klettert auf diesen Baum! (Cartoon © Hans Traxler)

Da ist er also, der erste Beitrag in meinem Blog zur Binnendifferenzierung. Ich mache mich damit also auf die Reise, um einen Begriff zu erkunden, der im Alltag von Lehrenden fast schon dem Inventar des Bullshitbingo zuzurechnen und in seiner Beliebigkeit kaum mehr auszumachen ist.

Ein gelungenes Bild für die Notwendigkeit einer solchen Exkursion bietet sich da am Anfang aus der Sicht des Karikaturisten Hans Traxler: „Um es gerecht zu machen, bekommt ihr alle dieselbe Aufgabe. Klettert auf diesen Baum!“ Das kennen wir ja, die TrainerIn sitzt der Lerngruppe gegenüber, im gediegenen Lehrerchic von Jeans und Pullover, hinter dem Schreibtisch versteckt, man reibt sich die Hände wegen einer vermeintlich besonders gelungenen Idee.

Aber wer sitzt einem denn gegenüber: Da haben wir zunächst den Affen. Er kann den Baum sicherlich flott erklimmen, sich elegant von Ast zu schwingen – für ihn ist es ein Kinderspiel! In den Lerngruppen sind das doch die SchülerInnen, die ihre Aufgaben selbsttätig und differenziert und sicherlich auch noch weit in der Zeit erledigen.

Anders verhält es sich mit dem Pelikan: Klettern kann er nicht wirklich, eigentlich ist es ja ein ausgemachter Wasservogel, der sich nur schwer in die Lüfte erheben kann, aber wenn er es denn geschafft hat, ist es ein Segler, der seinesgleichen sucht. In den Lehr-/Lernsituationen sind das genau die SchülerInnen, die ihre Schwäche gerade hier haben, aber an anderer Stelle nicht zu schlagen wären.

Auch der Elefant ist deutlich erkennbar kein Klettertier, vielleicht schafft er es mit seinem Rüssel, die Baumspitze zu erreichen, aber als Stärke spricht man ihm die Fähigkeit eines langen Gedächtnisses zu. Er braucht für seine Aufgaben eine halbe Ewigkeit, aber danach ist es wie eingebrannt.

Und so ließe es sich weiter durchexerzieren, wobei am Ende der Kette sicherlich der Goldfisch steht, den der Versuch, die Aufgabe zu bewältigen, das Leben kosten würde, wie den Schüler, der eigentlich gerade hier an der ganz falschen Stelle ist und über dem alles zusammenschlägt.

An dieser Stellen setzen wir nun also an, wir wollen uns daran machen, diese Situationen aus wissenschaftlicher Sicht unter die Lupe zu nehmen, denn die Lösung scheint klar: Wir müssen differenzieren in Abhängigkeit von unserem Gegenüber in der Lerngruppe, müssen genau schauen, wer wo steht, um sie oder ihn adäquat und „passend“, wie Siegfried J. Schmidt 1992 auf dem Heidelberger Konstruktivismuskongress „Die Wirklichkeit des Konstruktivismus“ es in einem Workshop nannte, zu erreichen. Er legte damals dar, es gehe nicht mehr um richtig oder falsch, weil dies Parameter einer Machtposition seien: Wer Recht habe, habe eben die Macht, wer falsch liege, sei der Unterlegene.

Aber wie geht das? In der pädagogisch-didaktischen Literatur finden sich viele Hinweise, Ansätze, Erörterungen, und dieser Ansatzpunkt innerhalb des Umgangs mit Heterogenität ist keinesfalls neu, aber ein wirkmächtiges Theoriegebäude, das auch die praktische Dependance hegt und pflegt, ist aus meiner Sicht derzeit noch immer nicht auszumachen.

Deshalb geht es hier aber nicht nur um ein theoretisches Konzept der Binnendifferenzierung, wo sie wie zu verorten sei, sondern vielleicht lassen sich auch praktische Umsetzungen diskutieren. Es gibt einen Markt, wir wollen unter die Lupe nehmen, was sich dort bietet.

Ich lade also herzlich ein, an dieser Erkundungsfahrt teilzunehmen. Einstweilen hoffe ich zumindest auf wohlwollende Aufnahme.

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4 Kommentare

  1. Stephanie

     /  29. Dezember 2013

    Hallo Lutz,

    dein Blogthema hat mich gleich angesprochen, denn dieser Begriff verfolgt alle LehrerInnen. Dein Titel und deine einleitenden Worte zeigen ja, dass du dem Ganzen auch ambivalent gegenüberstehst. Vielleicht interessiert dich daher der folgende Artikel aus der Fachzeitschrift „Erziehung und Unterricht“ von Beate Wischer, die sich dem Begriff aus einer ähnlichen Perspektive nähert. Wischer kritisiert jedoch erst einmal nicht den „Hype“ um das Konzept, sondern die wenig konkrete Übertragung in ganz reale Situationen: „Das Problem besteht nicht in einem Mangel an Optionen, sondern eher in einem Überangebot; wobei erschwerend hinzu kommt, dass sich nur wenig Konkretes darüber aussagen lässt, wie eigentlich im Einzelnen aus dem Spektrum an Möglichkeiten ausgewählt werden soll.“ (Wischer 2008: 716) Meiner Meinung nach ist dem zuzustimmen und geht in die Richtung, die du einschlägst. Was in der Fachdiskussion getan wird, ist theoretisch viele Methoden zu nennen, aber Grundlage für deren Einsatz ist das genaue Kennen der Lernergruppe und das kommt oftmals zu kurz. Wischer weist auch darauf hin, dass es letztendlich die Lehrperson ist, die den Unterricht strukturiert und dass dies eben auch bei Förderung der Lernerautonomie nicht vergessen werden sollte. Daher beschäftigt sie sich auch mit Bedingungen der Binnendifferenzierung und kommt zu dem Schluss, dass LehrerInnen oftmals an schlechtem Gewissen leiden, da der Begriff im Allgemeinen idealisiert diskutiert wird und somit – einfach ausgedrückt – in der Praxis nur Frust entsteht. Einen ersten Schritt, diesen abzubauen, sieht sie daher in der Reflexion des eigenen Lehrerhandelns, in der Kooperation mit dem Kollegium und im Wahrnehmen der eigenen Möglichkeiten (ebd.: 721 ff.). Das ist meines Erachtens wenig Neues, daher bin ich gespannt, was im Rahmen deines Blogs dazu noch diskutiert wird und ob es Ideen zur praktischen Umsetzung über das Altbekannte hinaus geben wird.
    Hier noch der Link zum Artikel: „Binnendifferenzierung ist ein Wort für das schlechte Gewissen des Lehrer“ von Beate Wischer (2008)

    Klicke, um auf wischer.pdf zuzugreifen

    Liebe Grüße,
    Stephanie

    Antworten
  2. Lieber Lutz,

    dein Bild hat mir sofort ein Lächeln entlockt und meinen eigenen bildhaften Vergleich sofort bleibend ergänzt. Der Ruf nach individueller Förderung unserer Schüler im Klassenverband ist mit Sicherheit gerechtfertigt (Utech, 2013), nur die Umsetzung veranlasst bei mir immer wieder Kopfschütteln.
    Im Gespräch mit Kollegen, als ich dein Bild noch nicht kannte, erklären wir uns innere Differenzierung immer so: Man steht alleine mit 25 Schülern, vom totalen Anfänger bis zum Profi, auf der Schipiste und muss einen Schwierigkeitsgrad auswählen. Um allen gerecht zu werden, wählt man halt die mittelschwere Piste (wobei einem manchmal schon beim Liftfahren einige verloren gehen)
    Binnendifferenzierung hat für mich persönlich jede Menge Chancen, gut umgesetzt zu werden, aber definitiv auch Grenzen (Mayr, 2002). In einer Klassensituation, in der sich von 20 Kindern fünf Integrationskinder (davon ein Kind mit Downsyndrom), vier mit nichtdeutscher Muttersprache und ein Hochbegabter befinden und der Integrationslehrer, der nur für 20 Unterrichtsstunden den Schülern zur Verfügung steht, just in deinen Fächern nicht mehr vorhanden ist – dieses Szenario hat mir meine persönlichen Grenzen der Sinnhaftigkeit vom Unterricht im Klassenverband unter Innerer Differenzierung aufgezeigt.

    Lg, Barbara

    Quellenangaben:

    Mayr, J. (2002): Innere Differnzierung au der Sekundarstufe 1. Eine Bestandsaufnahme. URL: http://www.gemeinsamlernen.at/sitebenutzer/mPopupFenster/beitrag.asp?id=142 (Zugriff: 20.12. 2013)

    Utech, C. (2013). Innere Differenzierung. URL: http://lehrerfortbildung-bw.de/faecher/mathematik/gym/fb1/modul8/ (Zugriff: 29.12.2013)

    Antworten
  3. Hallo Lutz,
    ich kann mich den Vorrednern nur anschließen. Binnendifferenzierung verfolgt alle LehrerInnen. Ein weiterer zentraler Begriff ist der der Inklusion. Vielleicht macht es Sinn beides miteinander zu verknüpfen, um somit einen umfassenden, theoretischen Rahmen zu erlangen. Auch ein Blick auf Unterrichtsmethoden wäre spannend, da beispielsweise die Effekte von kooperativem Lernen (auch online-basiert) in heterogenen Lerngruppen recht breit erforscht werden und wurden (Miwha).

    Auf jeden Fall ist es sehr schön formuliert von einer „Reise“ zu sprechen, denn letzten Endes wird man nie an das Ziel gelangen, sondern nur Schritt für Schritt in eine richtige Richtung im Umgang mit Heterogenität gehen können.

    Viel Erfolg!

    Literatur:

    Miwha, Lee: Web-based Foreign Language Learning in a Cooperative Environment: The Effects of Ability and Group Composition on Reading, Writing, and Listening Comprehension, 2000.(http://editlib.org/p/16127/)

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  4. Hallo Lutz,
    es scheint, du hast mit deinem Blogthema etwas aufgegriffen, was wirklich viele Pädagogen/innen bewegt. Gerade bei uns in Österreich steht das Thema „Binnendiffernezierung“ ja auch im Zentrum unserer „neuen“ Schulform, der so genannten Neuen Mittelschule. Und auch bei uns rauchen die Köpfe der Lehrer/innen, wenn es gilt, eine möglichst optimale Form von Differenzierung zu finden.
    Besonders wichtig wäre in unserem Fall eine intensive „Einschulungsphase“ für die damit konfrontierten Pädagogen/innen gewesen. Dies ist leider nicht wirklich erfolgt, die entsprechenden Fort- und Weiterbildungsangebote an den Hochschulen sind sehr überschaubar und wirklich kompetente Referenten/innen, die Themen gezielt für die Praxis anbieten können, extrem rar.
    Jetzt gilt es wohl im so genannten Hype-Zyklus (Klampfer, 2012) nach dem „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ und dem „Tal der Enttäuschungen“ über den „Pfad der Erleuchtung“ das „Plateau der Produktivität“ zu erreichen.
    Die zentrale Rolle bei der Unterscheidung, Verfeinerung, Abstufung und Aufteilung der Lerninhalte (Paradies und Linser, 2013) kommt aber in jedem Fall der/dem Lehrer/in zu und ist auch eine Frage des persönlichen Engagements und der Identifikation mit dem Thema. Dabei sollten neben den herkömmlichen Methoden auch die Möglichkeiten der „Neuen Technologien“ intensive Berücksichtigung finden (Stanford, Crowe und Flice, 2010).

    LG
    Johann

    Literaturangaben

    Klampfer, A. (2013). E-Portfolios als Instrument zur Professionalisierung in der Lehrer- und Lehrerinnenausbildung. Bewertung motivationaler und technologischer Faktoren der Nutzung durch Studierende. Glückstadt: VWH.

    Paradies, L. & Linser, H.-J. (2013): Differenzieren im Unterricht. Scriptor Praxis. Berlin: Cornelsen Scirptor.

    Stanford, P., Crowe, M.W. & Flice, H. (2010). Differentiating with Technology. TEACHING Exceptional Children Plus, 6(4),. URL: http://www.editlib.org/p/55640. [letzter Zugriff: 02.01.2014]

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